express 01/2020 erschienen!

Druckausgabe express 01/2020

Inhaltsverzeichnis

Standortfragen

Torsten Bewernitz: »Die Gewerkschaft von morgen?« – Die IG Metall Mannheim stellt die Weichen auf »gesamthaftes« Organizing S. 1

»Fortschrittliches Wortungetüm« – Wie soll Personalbedarf im Krankenhaus ermittelt werden? S. 3

»Die Wucht, die wir entwickeln können« – Torsten Bewernitz im Gespräch mit Klaus Stein über das Projekt »Wir in Mannheim – gemeinsam stark« S. 4

»Mannheimer Blitzlichter« – Kommentare von ehrenamtlichen TeilnehmerInnen am »Blitz« im Mai 2019 S. 5

Romin Khan: »Kein wir ohne uns« – Diskussion über eine Quote für MigrantInnen auf dem ver.di-Bundeskongress S. 8

»Betriebsversammlung auf Malle« – Interview mit Aktiven von chefduzen.de S. 10

Slave Cubela: »Die rote oder die blaue Pille?« – Zu Genese und Kritik des Populismus S. 12

Recht auf Stadt Freiburg: »Gefakte Leistungsnachweise?« – Hausverbot bei Vonovia – Solidarität mit Knut Unger! S. 13

Betriebsspiegel

La Banda Vaga: »Nationales Erneuerungsprogramm, nachgeholt« – Thesenpapier zu Hintergründen und Konsequenzen von »Industrie 4.0«, Teil II S. 6

Peter Nowak: »Elektroentwickler ohne Elektronik« – Stuttgarter Arbeitsgericht weist Kündigungsschutzklage ab S. 11

Bewegung mit Recht

René Kluge: »Mitbestimmung bei der Personalbemessung?!« – Tipps für die Betriebsratsarbeit S. 3

Internationales

»Macht mehr draus!« – Interview mit Jürgen Hinzer über die internationale Coca-Cola-Konferenz in Paris S. 9

»Im Schatten der Textilfabriken« – Arndt Dohmen im Interview über medizinische Versorgung von ArbeiterInnen in Bangladesch S. 14

Rezensionen

»Burn out zwischen Meeting und TelKo« – Andreas Meinzer über die Strichmännchen, die diese Ausgabe füllen S. 15

»Kein Mehrwert für niemand« – Andreas Meinzer im Gespräch mit Andre Lux S. 15

Heiner Dribbusch: »Vor der Geschichte« – über eine aktuelle Veröffentlichung zum baden-württembergischen Metallarbeiterstreik 1963 S. 16

Kurzgefasst

Neujahrsansprache statt Editorial: »Sozialismus oder was?« S. 2

Subversion & Schabernack S. 2

Antipasti S. 4

Dringliches S. 7, 12 u. 13

Leserliches S. 8

Bildnachweise

Die Bilder im Innenteil dieser Ausgabe stammen aus dem Band »LARS. Der Agenturdepp« von Andre Lux, erschienen bei Cross-Cult in Ludwigsburg. Wir danken Zeichner und Verlag für die Überlassung der Bilder. Hintergrund und mehr auf Seite 15 dieser Ausgabe.

Sozialismus oder was?

Neujahrsansprache statt Editorial: Schwarmintelligenz für Schwärmerisches

»Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit« – wer macht denn sowas, und was bitte schön soll das sein? Nicht eben der Eyecatcher am Bahnhofskiosk, kein Must Have im Mittelschichtshaushalt, Blei für den Demo-Handverkauf, auch für aufgeschlossene Studierende, KaufhofbetriebsrätInnen, Eisenflechter und Jobcentermitarbeiterinnen ohne Manual für praktische Kryptologie kaum entschlüsselbar. Das vormals beliebte Verteilen vorm Tor wird außer bei »Organizing-Blitzen« ohnehin kaum noch praktiziert – aber da geht’s hochglänzender zu und Sozialismus kommt sowieso nicht vor –, und im verbliebenen linken Blätterwäldchen garantiert uns dieser Untertitel noch nicht mal Unverwechselbarkeit, weder vorm Tor noch dahinter. Was soll man anfangen mit diesem Untertitel und seiner »Anmutung«?

Seit 1972 erscheint der express unverändert mit dem Untertitel »Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit«. Also seit der Fusion der vom Sozialistischen Büro (SB) herausgegebenen »Sozialistischen Betriebskorrespondenz« mit dem 1962 gegründeten und von der GfP (Gesellschaft für Forschung und internationale Kooperation auf dem Gebiet der Publizistik e.V.) herausgegebenen express international, mit dem die deutschen Verhältnisse auf die Höhe der Zeit, d.h. auf das Diskussionsniveau im europäischen Ausland, insbesondere in Frankreich und Italien, und in den anti-kolonialen Befreiungsbewegungen weltweit gebracht werden sollten. »Sozialismus« wurde und wird im Kontext des SB in der Tradition der »Neuen Linken« der Nachkriegsbundesrepublik verwendet, um sich sowohl von der Sozialdemokratie und damit der »sozialen Marktwirtschaft« als auch vom »Kommunismus« in seinen staatsautoritären Varianten abzugrenzen. Doch dazwischen ist eine Menge Luft und Platz, der für Bestimmungen vieler Art offenbleibt.

Es ist nicht so, dass es innerhalb der Redaktionen, die seit der Fusion den express produziert haben, nicht immer wieder Debatten um den Untertitel und dessen Be­deutung gegeben hätte. Anfang der 1990er Jahre (wen wundert der Zeitpunkt?) war eine Weile lang die Variante »Zeitung für undogmatische Gewerkschaftsarbeit« auf den Anzeigen im Umlauf. Die letzte große Ausein­andersetzung endete 2011/12 mit der Beibehaltung des Untertitels – wegen der historischen Bezüge auf alles, was ›zwischen den Stühlen sitzt‹, aber auch wegen der Potentiale und unabgegoltenen Ansprüche, die in dem Begriff lägen. Andere wiederum verbanden mit dem Begriff ein einziges großes Scheitern, wie etwa Werner Imhof 1999 schrieb:

»Seit seiner Gründung vor einem guten Vierteljahrhundert läuft der express einer Fiktion hinterher: der ›sozialistischen Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit‹, der er sich laut Untertitel verschrieben hat und die er bedenkenlos auch schon mal als ›sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftspolitik‹bezeichnet. Fiktion deshalb, weil damit nie (eine wie immer geartete) sozialistische Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften gemeint war, sondern allein ›die Arbeit in den Betrieben und Gewerkschaften, die konsequent an der Durchsetzung der Interessen der Lohn- und Gehaltsabhängigen festhält‹, also schlicht ›konsequente‹ Gewerkschaftsarbeit auf Betriebs- und Branchenebene. Daß der express meinte, sie als ›sozialistische‹ etikettieren zu können, beruhte auf einem ebenso platten wie grundlegenden Mißverständnis: Er sah in ihr schon einen ›Kampf gegen kapitalistische Produktions- und Herrschaftsverhältnisse‹« (Zitate aus »Gemeinsame Erklärung« der beiden Vorläuferpublikationen des Sozialistischen Büros, express international und Sozialistische Betriebskorrespondenz, vom November 1972, abgedruckt in express international Nr. 157, Hervorh. Werner Imhof)

Dieser Bedeutungszusammenhang ist also, wo nicht längst verloren gegangen, vorsichtig gesagt, umstritten. Dennoch hat der expressdie Umbenennungswelle der frühen 1990er Jahre – als etwa aus dem Arbeiterkampf die analyse und kritik wurde und die Prokla auf die Ausschreibung Probleme des Klassenkampfes verzichtete – nicht mitgemacht: Als die deutsche Linke, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ihren kollektiven »Abschied vom Proletariat« nahm, wurde der Untertitel »sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit« zum Alleinstellungsmerkmal des express – und halb stolz, halb trotzig halten wir ihn seither in Ehren.

Gleichzeitig wissen wir, dass der Begriff »Sozialismus« notorisch problematisch ist. Ob nun der Kommunismus in der Formulierung von Marx und Engels oder der Anarchismus von Bakunin und Kropotkin: Beide Strömungen der ArbeiterInnenbewegung entstanden in erster Linie, um sich von einem utopistischen wie auch in der Formulierung dieser Utopien »von oben« oft autoritären (Früh-)Sozialismus abzugrenzen und sich auf eine »wirkliche Bewegung« zu beziehen. Doch ebenso problematisch ist der Sozialismus in der nicht minder autoritären Theoretisierung des historischen Materialismus als »evolutionäre« Zwischenstufe zum Kommunismus – ein Geschichtsverständnis, sei es mechanisch oder teleologisch, das er mit bürgerlichen Fortschrittsvorstellungen teilt. Nicht zuletzt macht aber auch die heute vorsichtig wiederbelebte Begrifflichkeit des »demokratischen Sozialismus« eine kritisch-solidarische Distanz im Sinne unserer parteilichen Ungebundenheit notwendig.

Uns ist auch bewusst, dass wir nicht nur Härteres gewohnten älteren LeserInnen, sondern auch neuen und jüngeren LeserInnen mit dem Begriff viel zumuten. Mag auch der Bewegungs- und Denkhorizont ein sehr ähnlicher sein, so sind doch die Assoziationen, die sich mit dem Begriff »Sozialismus« verbinden, oft ganz andere als die, auf die wir uns beziehen – wenn wir uns denn selbst einig wären. All das bedarf mehr als eines ›espresso doppio‹, um entfaltet und erörtert zu werden.

Und deswegen ist jetzt Eure schwärmerische Intelligenz gefragt, geneigte Leserinnen und Leser: Der express sucht einen neuen Untertitel, der zeitgemäß unseren Anspruch verdeutlicht, aber auch die Tradition nicht vergessen und im Alten das Werden des Neuen ahnen lässt. Wir erwarten Eure Vorschläge per Mail, Schneckenpost oder in den virtuellen Netzwerken von Facebook und Twitter. Ein Jahr lang werden wir monatlich die Vorschläge präsentieren (ein kleines Dankeschön an die TeilnehmerInnen inclusive) – die besten werden es jeweils für eine Ausgabe als Unterzeile auf unsere Titelseite schaffen, um dann zur alles entscheidenden Abstimmung zu schreiten.

Wir sind gespannt!

Eure Redaktion

Ps.: Was sonst noch alles Neues im Alten schlummert, seht Ihr, wenn Ihr diese Ausgabe näher in Augenschein nehmt – formal und inhaltlich. Wir freuen uns über Rückmeldungen auf beides!