express 11/2019 ist erschienen!

Druckausgabe express 11/2019

Gewerkschaften Inland

Wolfgang Völker: »Es rettet uns kein höheres Wesen…« – Zum Sanktionsurteil des Verfassungsgerichts S. 1

Jürgen Senge: »Verrückt: ver.di rückt ein kleines Stück nach links« – Bericht vom ver.di-Bundeskongress S. 2

Anton Kobel: »Rechnen muss frau im Handel können!« – Der ver.di-Bundeskongress und die Wahlen S. 2

Tilman v. Berlepsch: »Enger zusammen rücken« – Die Debatte über Gewerkschaften und Umweltbewegung in der Konferenz »Zukunft der AutoMobilität« der Bundestagsfraktion Die Linke S. 6

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften: »Es sind immer die Gleichen« – Aufruf zur Unterstützung des globalen Klimastreiks S. 6

Betriebsspiegel

Torsten Bewernitz: »Protest am prekären Rand der Logistik« – Über die Protestwelle bei den Delivery Services S. 4

Streiksolibündnis Leipzig und Vertrauensleute: »Picken, packen, BR wählen« – Amazon sabotiert die Arbeit des Leipziger Betriebsrats S. 4

Doreen Bormann und Nikolai Huke: »Verloren in der Berufsschule« – Über Ausgrenzung und Integration Geflüchteter in der Ausbildung S. 8

Wolfgang Alles: »Betriebsräte im Visier« – Sechste Bundesweite Konferenz in Mannheim S. 16

Internationales

Chris Brooks und Jane Slaughter: »Mehr statt weniger Klassen« – Nach dem Tarifabschluss von GM in Detroit S. 9

Helmut Weiss: »Es brennt – nicht nur am Amazonas« – Ein Jahr nach Bolsonaros Wahlsieg in Brasilien S. 10

Debatte

Slave Cubela: »Arbeitsleid und radikale Emanzipation« – Überlegungen im Anschluss an Wolfgang Hiens »Die Arbeit des Körpers« S. 12

Thomas Gehrig: »Partei-Fetisch« – Das Sozialistische Büro in der Kritik Carsten Priens S. 14

Carsten Prien: »Partei im großen historischen Sinne« – Replik auf Malte Meyer S. 14

Bildnachweis

»Ein ganzes Leben Generalstreik!« – Für seinen lebensreformerischen Ansatz wider die bürgerliche Gesellschaft wählte Gregor Gog einen Ansatz der besonders entschiedenen Art: nicht bloß etwas Vegetarismus hier und Gütergemeinschaft dort, sondern ein Dasein auf Wanderschaft. Unter seinesgleichen, den »Kunden und Vagabunden«, betätigte er sich als politischer Agitator für die revolutionäre Sache. Vor 90 Jahren war er der Kopf hinter dem »Stuttgarter Vagabundenkongress«. Eine Reise in die Sowjetunion ließ ihn zweifeln am Anarchismus der Outsider, er trat der KPD bei. Von den Nazis ins Exil gezwungen, starb er 1945 wiederum in Russland. Der Band »König der Vagabunden« (Avant) stellt den Lebensweg Gogs vor. Die Zeichnungen von Bea Davies, die in kleinen Auszügen diese Ausgabe des express bebildern, illustrieren die von Patrick Spät erarbeitete Dramaturgie. Abgerundet wird das Buch durch ein ausführliches Nachwort zu Gregor Gog und den zeitgeschichtlichen Umständen.

Bea Davies, Patrick Spät: »Der König der Vagabunden. Gregor Gog und seine Bruderschaft.« Avant-Verlag, ISBN 978-3-96445-015-9, 25 Euro.

Editorial

Geneigte Leserinnen und Leser,

kürzlich postete einer unserer Facebook-Administratoren einen FAZ-Artikel auf unserer Seite, nach dem Friedrich Merz den Kündigungsschutz ganz abschaffen wolle. Der Beitrag ist laut Facebook 95 Prozent erfolgreicher als unsere anderen Beiträge des Monats November, GewerkschaftssekretärInnen und Politak­tivistInnen verfassten eigene Beiträge, die Nachricht wurde sogar Thema in Hochschul­seminaren.

Die FAZ-Meldung ist zwar kein Fake, aber es sind auch keine News: Der geteilte Beitrag stammte vom 25. Juli 2004, wie die Quellenangabe direkt unter der Überschrift verrät.

Was sagt uns dieser Vorgang? Erstens, dass die Möglichkeit nicht abwegig und ihr Übergang zur Wirklichkeit als möglich erscheint. Die Zerstörung sozialpolitischer Bastionen, die Abschaffung von ArbeitnehmerInnenrechten, der gesamte Rollback in der Auseinandersetzung um die sog. »soziale Frage« (noch immer eine sozialdemokratische Verharmlosung ersten Ranges), genauer: die anhaltende Verschiebung in den Klassenverhältnissen seit den 1990er Jahren, all das lässt es realistisch scheinen, dass der neue alte Rechtsaußenspieler, der Kramp-Karrenbauers Karren aus dem Dreck ziehen soll, wahr macht, was sich damals noch nicht »ganz« durchsetzen ließ: die vollständige Abschaffung des Kündigungsschutzes. Übrigens und nur zur Erinnerung: nach Vorarbeiten von Rot-Grün, die zu Weihnachten 2003 ihre Gesetze zur Modernisierung des Arbeitsmarktes einschließlich eines modernen, flexibilisierungsgerechten Kündigungsschutzes vorgelegt hatten. Der Blackrocker kann also nahtlos anschließen an die Mitte der Gesellschaft, die ihren eigenen exklusiven Extremismus pflegt:

»Wir sagen deshalb: Lieber befristet beschäftigt, als unbefristet arbeitslos. Wenn wir damit nachweisen, daß weniger Schutz zu mehr Beschäftigung führt, können wir eines Tages ganz auf den besonderen Kündigungsschutz verzichten.« (FAZ, 25. Juli 2004) Genau diesen Nachweis haben Schwarz-Rot-Grün geleistet, nicht wahr? Wer diesem Fake nicht traut, für seine Zweifel an der Vernunft der politischen Mitte keine Cornelia Koppetsch braucht und ein Interesse an Aufklärung statt Populismus hat, der muss a) auf Quellenkritik achten, b) öfter mal express lesen (oder auch: für ihn schreiben).

Zweitens zeigt der Vorgang mal wieder, wie die virtuellen Netzwerke und ihre Algorithmen funktionieren. Wenn Rechtsextremismus-Forscherin Julia Ebner (https://t3n.de, 6. November 2019) beschreibt, dass und wie die Rechte weltweit Algorithmen gezielt nutzt, um Empörung zu generieren, dann ist damit nur ein Grundmechanismus ›moderner‹ bürgerlicher Öffentlichkeitsarbeit benannt: starke Emotionen gehen schneller »viral« als Erkenntnisprozesse – vor allem, wenn sie der Aufwertung des Eigenen durch Abwertung des Anderen dienen. Über diesen engen Zusammenhang zwischen bürgerlichen Individualitätszumutungen bzw. -sehnsüchten und autoritärem Denken hat sich – besser als die ErfinderInnen neuer Bindestrich-Gesellschaften von Abstiegs- bis Zukunftsangst – Adorno (2019) schon ausgelassen.

Und drittens: Wer etwas über Gründe für und Hintergründe der Empörung wissen und dabei mehr als zauberhaften Zeitdiagnosen hinterherhaschen möchte, dem sei mit dem guten alten FAZ-Titel »Die Zeitung ist tot. Es lebe die Zeitung« eine Zeitung empfohlen, und zwar diese hier. In jeder Ausgabe steckt mindestens ein Monat Arbeit, d.h. Nachdenken, Recherche, Diskussion, Auseinandersetzung mit unseren AutorInnen und LeserInnen – eine Menge Bewegung statt ›Statement-Containing‹.

Damit das so bleibt, brauchen wir auch in diesem Jahr eure Hilfe bei der Reproduktion unserer (Arbeits-)Ressourcen. Wir freuen uns über wohlwollenden Umgang mit unserem Spendenaufruf und empfehlen ein express-Abo als Weihnachtsgeschenk. Davon unabhängig wünschen wir eine anregende Lektüre!