Inhalt express 3-4/2007

Gewerkschaften Inland

»Alles in bester Verfassung«, Sozialrichter geben den Hartz IV-Ball zurück, sehr flach S. 1

Tom Adler: »Wertigkeiten, historische«, zu Lyrik & Analytik der Arbeitsbewertung S. 2

Thomas Böhm: »Der Kampf um die Arbeitszeit« S. 5

»Mehr drin?«, tarifpolitischer Trend zu Einmalzahlungen und Variabilisierung S. 6

»Unpopuläre Maßnahmen«, Eskalation bei den Kindertagesstätten S. 8

Hugo Claus: »Eine echte Herausforderung«, zur neuen Entgeltordnung im öffentlichen
Dienst   S. 9

Nadja Rakowitz: »Titularoberärzte«, Marburger Bund bekämpft eigenen Tarifvertrag S. 10

WSI-Analyse: »Krankheitsverleugnung«, niedrige Fehlzeiten kein gutes Zeichen S. 10

Friedrich Wöhler: »Tarifpolitik der zwei Geschwindigkeiten«, zur Tarifrunde Chemie 2007 S. 11

Anton Kobel und Johannes Hauber: »Signale auf rot«, über das »bahnbrechende Privatisierungsdesaster« S. 13

»4,81 Euro brutto oder arbeitslos«, unwürdige Alternative des DEHOGA zum Mindestlohn S. 14

»Peter(s) Prinzip beim Klimawandel«, »Alternativer« Umgang mit dem Klimaschutz in der Autoindustrie S. 15

unwürdige Alternative des DEHOGA zum Mindestlohn S. 14

Hans-Gerd Öfinger: »Formale Schatten?«, von Schmuddelkindern zu Brüdern – Antwort an den Kollegen Norbert Hansen, Vorsitzender von Transnet S. 16

Betriebsspiegel

»Ende einer Welt AG!«, DC verpasst nicht nur klimatisch den Anschluss S. 4

»Keine Brücke über Trubelwasser«, »Dienst nach Vorschrift« gegen unfaire ERA-Einstufung bei DC S. 4

»ERA in die Tonne!«, erfolgreiche Klage gegen niedrige Eingruppierung S. 5

KH: »Discounter-Sitten im KFZ-Handwerk«, Uuups: »versehentliche Blockade« durch Ford-KollegInnen S. 8

Anna Blume: »Und jetzt ihr«, Tarifverhandlungen bei Gate Gourmet Deutschland in kritischer Phase S. 12

»Bewerbungszwang«, »Zukunftsvertrag« bei GM – Personalabbau geht weiter S. 12

Europa/Internationales

Stephanie Weiss: »Il precariato si ribella«, zur Bewegung gegen Prekarisierung in Italien S. 18

Rezension

Anton Kobel: »Fossilismus verblüht?«, zu Elmar Altvater: »Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen« S. 20

Editorial

Atavismus als Zeitdiagnose

Oder: die ewige Erzählung der 300 gegen fünf Millionen

In der Frankfurter Rundschau, die demnächst auf das Placebo-Zeitungsformat »Tabloid« umstellen wird – Nomen est Omen, ein weiterer Tranquilizer unter den freien Meinungskontrollorganen –, ist der Film ein blutiges Orakel. Auch unter Gewerkschaftern und Ostermarschierern dürfte das Prädikat klar sein: Gewalt-verherrlichung, klarer Fall, abgehakt.

»300«, die Verfilmung der Schlacht an den Thermopylen, in der, so der von Herodot überlieferte Mythos, die Spartaner als Vertreter von Demokratie und Freiheit gegen die quantitativ überlegenen Heerscharen des »barbarischen« Perserkönigs Xerxes Heroismus demonstrierten, basiert auf einem Comic-Epos von Frank Miller, dessen Werke in der zivilisierten BRD und den (mindestens ebenso) zivilisierten USA lange Zeit auf dem Index für Gewaltverherrlichung standen bzw. noch stehen.

»Trash«, Müll als Gegenstand und Form, wäre das charmanteste Prädikat, das seiner Kunst, sofern es als solche durchginge, zuerkannt würde. Aber das auch nur, wenn die Opposition gegen die Behörde zur Verfolgung von Normenkontrollverstößen etwas Besseres zu tun hätte, als um den nächsten freien Regierungssessel zu buhlen. Doch selbst davon sind wir, dem Prinzip des »Gotteslohns« für den Systemerhalt sei Dank, in der BRD noch weit entfernt. »Schön« muss bis dahin sein, was gefällt und zur moralischen Erbauung beiträgt. Hässlich ist alles Zersetzende. Müll gilt als dessen Träger.

In der in diesem express dokumentierten Serie mit Bildern aus dem Comic »300«, der derzeit verfilmt in den Kinos läuft, geht es – vordergründig und zugleich wesentlich – um »ewige« Konflikte. Frank Miller scheint es, und das wäre eine Kritik an seinen Comics, egal, wann seine Epen spielen. Das ändert nichts daran, dass ihm mit »Sin City« – »the town without pity«, seinem von jeglichen historischen Einbettungen abstrahierenden Vorgängerwerk, das irgendwann zwischen Prohibition und dem 24. Jahrhundert spielen könnte, eine eben nicht »schöne«, sondern »hässliche« und brutale Darstellung der städtischen Milieus des ›zweiten Fin de Siecle‹ der USA gelungen ist. Seine Zeichnungen erinnern an die Wimmelbilder aus »Blade Runner«, mit dem Unterschied, dass man vor lauter Elend den Wald trotzdem (und trotz »Wald« eine Menge »lost & lonely«-HeldInnen) sieht. Es ist der gar nicht zivilisierte Kern einer bürgerlichen Gesellschaft, für die eher Hobbes als Rousseau Pate steht: Anomie, Korruption, Bandenbildung, Bürgerkrieg, das Gesetz der Selbstgesetzgebung, kurz: das ganze Repertoire bürgerlicher Horrorszenarien, das abgerufen werden kann, sobald das Vertrauen in rechtsstaatliche und demokratische Formen brüchig wird. Und wie schon in der Verfilmung von »Sin City«, so auch in »300« gelingt es Zack Snyder, aus den flächigen, auf farbarme Zweidimensionalität beschränkten Comic-Tableaus verwickelte Geschichten mit meist blutigem Ausgang entstehen zu lassen. Wie gefroren wirken die Szenen, die aus den Comic-Panoramen genommen werden, um aus ihrer auf dem Papier angehaltenen Spannung filmisch dreidimensionale Explosionen werden zu lassen. Was im Film problemlos möglich, ist in unserer Wirklichkeit schwieriger: Die Gegenwart scheint vollkommen geschichtsleer. Selbst hochgradig historisch aufgeladene Auseinandersetzungen erscheinen wie ewige Mythen, so der Kampf der Spartaner gegen die Perser, der immer wieder (nicht zuletzt von Göring im Angesicht von Stalingrad) zur Begründung des bedingungslosen Kampfs für die Zivilisation gegen die Barbarei herangezogen wird.

Diese Zivilisation wird mit Motiven charakterisiert, die – gerade, wenn sie als Selbstlegitimation der Protagonisten auftritt – nicht nur vollkommen geschichtsverfälschend sind, sondern vielleicht auch gerade wegen ihrer vermeintlichen Enthobenheit von jeglicher Geschichte so universell angeeignet werden können. Nicht zuletzt auch in der Arbeiterbewegung:

Der Opfertod als Mythos, oder: Parteisoldaten gegen politische Eliten und der Kampf der »wahren« gegen die »wirklichen« Werte; der Verrat aus den eigenen Reihen oder: der geheime »Ziegenpfad«, der den angeblich schlachtentscheidenden Sieg der Perser ermöglichte, als von Friedrich Ebert (»im Felde unbesiegt«) geteilte Dolchstoßlegende; und nicht zuletzt: die Berufung auf »Natur« und Naturwissenschaft als Bedingung des Erfolgs.

In diesem Sinne: Wenn die FR »300« als Dokumentation des gescheiterten Kampfs der Aufklärer gegen die Barbaren interpretiert, würde dem zu entgegnen sein: »300« zeigt die Aufklärer in all ihrer Barbarei. Und wäre ein Hinweis darauf, was es an Aufklärungsbedürftigem in der sog. Zivilisation noch gibt.

Oder, um es mit Frank Miller zu sagen:

»Why the hell do they need me to put my signature on their pack of lies? They want a Confession. They won’t get it.«

Frank Miller, Lynn Varley: »300«, Schreiber & Leser, München 1999, ISBN: 3-933187-12-5

 

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