Inhalt express 3/2009

Gewerkschaften Inland

Frank Bsirske: »Nicht der Bananenklau ist zu fördern«, spricht zu den Hamburger Hafenarbeitern S. 2

Achim Neumann: »Nicht die Krise, der Kapitalismus ist das Problem«, zur Demonstration in Berlin S. 4

»Aktive Intoleranz«, auch Intellektuelle, Kulturschaffende und Künstler wollen nicht zahlen S. 12

 

Betriebsspiegel

Willi Hajek & Gregor Zattler: »Allgemeines im Besonderen«, über betrieblichen Ungehorsam, kollektive Selbstorganisation und gewerkschaftliche Versäumnisse S. 5

»Korrekte Wortwahl«, »Barbarisch und asozial«, Erklärung ehemaliger DDR-Bürgerrechtler zu Emmely-Urteil S. 5

Willi Hajek: »Emmely ist überall«, »Geiz ist geil« – die Methoden von Saturn S. 6

K.H.: »Erklärungsbedürftig«, oder: exemplarisch verpasste Chancen im »Fall« Emmely S. 7

»Freie Aussprache … aber´n bisschen express, ja«, Leserbrief zum »Fall« Emmely S. 7

»Breite Diskussion«, Leserbrief zum »Fall« Emmely S. 8

»Kundenverhältnis kündigen«, offener Brief an Kaiser´s Kaffee/Tengelmann-Gruppe S. 8

»Nicht Opel, wir sind »systemrelevant««, GoG will die Krise gar nicht lösen S. 9

»Unterlassungssünden«, Kollegen von Daimler Bremen wollen Krise auch nicht bezahlen S. 9

»Erfolg bundesweiter Solidarität!«, IKEA zieht Kündigungsantrag gegen BR-Vorsitzende
zurück  S. 10

 

Internationales

Staphany Wong: »Ab auf´s Land«, über Auswirkungen der Finanzkrise in China S. 1

»Internationaler Streiktag«, brasilianische MetallarbeiterInnen rufen zum weltweiten Kampf gegen Angriffe der Automobilunternehmen auf S. 10

Hasan Arslan: »Mehr Autos gegen die Krise?«, über gewerkschaftliche Proteste in der
Türkei   S. 11

Bernard Schmid: »Keine Privatangelegenheit«, über Streiks, Verweigerung und Ungehorsam gegen Bildungsreformen in Frankreich S. 13

 

Rezension

Wolfgang Völker: »Normalzustand Prekarisierung«, über anderthalb Jahrzehnte »Blauer Montag S. 15

 

Bildnachweise: Diverse Schnappschüsse von den Demonstrationen „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ vom 28. März aus Berlin und Frankfurt am Main von Petra Busmann, Danuta Sacher und ragusda-productions.

 

Editorial

Liebe Gebeutelte, Gerührte, Geschüttelte und hoffentlich immer noch Geneigte,

… „der Patient liegt im Wachkoma, doch wie ist die Patientenverfügung zu deuten, und wer hat die Vorsorgevollmacht?“, so die metaphorische Frage, die uns in unserer Arbeitsgruppe „Freundinnen und Freunde der Krise“ beschäftigt hat. Da, um im Bild zu bleiben, das Parlament sich um die Rechtsgrundlagen für die Patientenverfügung noch streitet (wie „autonom“ darf der Patient sein? Ist sein Leben gottgegeben? Sollen die Experten entscheiden?), wird vorerst weiter künstlich ernährt und beatmet, was die staatliche Haushaltspumpe so hergibt, und d.h.: der bürgende Bürger zulässt. Aktive Sterbehilfe gilt als verpönt und ist in Deutschland ohnehin illegal. Viele Doctores drängen sich unterdessen am Krankenbett, an Rezepten herrscht auch kein Mangel. Das meiste erinnert allerdings an die Weisheit der Schulmedizin, zu deren Merkmalen es gehört, dass sie systematisch zu spät kommt (d.h. „curativ“ verfährt) und dann mehr vom gleichen verabreicht, um Symptome zu bekämpfen und Schmerzen zu lindern, statt Krankheit zu verhindern (das nennt sich „palliativ“). Ein Pallium war bei den Römern ein mantelartiger Umhang, im Mittelalter dann der Krönungsmantel des Kaisers – und um einen Repräsentationszwecke erfüllenden Stofffetzen zur oberflächlichen Bedeckung geht es in gewisser Weise auch heute. Die Rede ist von Schutzschirmen, und man mag nun den Fortschritt der Geschichte daran ermessen, wer einen solchen in welcher Qualität erhält – und wen er vor was schützt.

Doch viele bezweifeln, dass dem Patient überhaupt etwas fehlt – vielleicht schwächelt er nur vorübergehend oder simuliert gar? Die FAZ z.B., deren Renommee sich, so hört man, vor allem ihrer wirtschaftlichen Kompetenz verdankt, erklärt uns den Zustand wie folgt: „Jeder Tauschakt auf dem Markt beruht auf einer doppelten Freiwilligkeit. Der Markt … gewährt möglichst (?!) vielen Menschen möglichst (?!) viel Freiheit. Es ist die Freiheit zu tauschen zu einem von beiden Parteien akzeptierten Preis.“ (Rainer Hank: „Ist der Kapitalismus noch zeitgemäß?“, FAZ.Net, 30. März 2009) Tolle Sache, und so easy! Wenn wir also dem bibelbewährten Rat der FAZ folgen („und sie tauschten schlicht um schlicht“), dann kriegen wir alle nicht nur „Porsches“ und „Schokoladeneis“, sondern sorgen wie nebenbei auch noch für „Freiheit“, „Demokratie“, „mehr Bildungschancen“, „höhere Lebenserwartung“ und „viel weniger Arme auf der Welt“. Na bitte – diese Erfahrung könnten die mindestens 200 Bootsflüchtlinge sicher auch bestätigen, wenn sie nicht vorher „freiwillig“ im Mittelmeer ersoffen wären.

Wie kommt es in dieser wunderbaren Welt überhaupt dazu, dass „die Marktwirtschaft in Verruf geraten ist“, Risse im Modellgebälk, gar eine „reale“ Krise konstatiert werden? Dazu hat der studierte auch-Theologe, ehemalige Harvard- und MIT-Mitarbeiter Hank folgende luzide Einsicht parat: „Dafür, dass Ideen gedacht werden und fruchtbar werden, braucht es Wettbewerb.“ Ach ja, und Geld. Denn „Ideen ohne Geld bleiben steril; aus ihnen kann nichts werden“. Dafür gibt es den Kredit, der auch den „Habenichtsen die Chance verschafft, ihre Ideen zu Markte zu tragen“. Der Zins als „disziplinierende“ und daher „höchste Form der Rationalität“ sorgt dann dafür, dass jeder Verantwortung für das geliehene Geld übernimmt und es in diesem „Prozess der kreativen Wohlstandsvermehrung“ vernünftig zugeht, so dass am Ende stets ein Boom für („möglichst“) alle herauskommt. Doch dann plötzlich das: „Boomzeiten aber, ob künstlich oder real, verzerren Anreize und Werte. Sie machen uns blind für die Risiken.“

Wie sollen wir das verstehen? Eher alttestamentarisch, etwa im Sinne von „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen?“ (Hiob 1,21) Oder haben wir es mit paradoxen neutestamentarischen Intervention zu tun: nur kein Wettbewerb ist ein guter Wettbewerb, aber dafür sollen wir freiwillig die Backe hinhalten?

Vieles in den Krisenkommentaren der wissenschaftlichen und politischen Eliten erinnert eher an drittklassige Fußball(er)kommentare: Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech hinzu (so der, allerdings nie abstiegsgefährdete, Bayern-Stürmer Jürgen „Kobra“ Wegmann). Bei Opel war der Trainer schuld, doch Klaus Franz weiß: „Die Mannschaft ist gut aufgestellt“ – solange sie allein auf dem Platz spielen darf.

Ein argumentatives Powerplay, das einfach zu kontern ist. Wir halten also dagegen und an der Einsicht fest: Nach der Krise ist vor der Krise, und die Wahrheit wird immer erst auf dem Platz entschieden.

Am 28. März waren zwar noch nicht genug auf dem Platz, aber doch viele, die den bisherigen Rettungsmaßnahmen und der Großwetterlage in Deutschland nicht trauten und deshalb ihre eigenen Schutzschirme mitgebracht hatten. Darunter vor allem GewerkschaftskollegInnen, die mit ihren vielen Fahnen auch ihren terminstressgeplagten Vorständen zeigten, dass sie kein Problem mit mehreren Demonstrationsterminen hatten; erstaunlich viele Jüngere, quer durch alle Organisationen, und auch einige, die das erste Mal demonstrierten („Mit 70 meine erste Demo“). Im wahrsten Sinne des Wortes also der gewünschte „Auftakt“. Eindrücke von der Demo und vor allem den unterschiedlichen Gründen und Formen der Weigerung, für diese Krise zu bezahlen, vermitteln nicht nur die Bilder, sondern auch eine Reihe von Texten in dieser Ausgabe: von Opel Bochum über Daimler Bremen, die Türkei bis China. In diesem Zusammenhang freut uns besonders der Artikel von Staphany Wong, nicht nur weil er den Auftakt zu dem Projekt „Worlds of Labour“ (WoL) bildet, das einen engeren Austausch zwischen kritischen Aktiven aus Gewerkschaften, Forschung und sozialen Bewegungen in China und Deutschland fördern will und an dem sich auch der express redaktionell und mit Veranstaltungen beteiligt. Der Beitrag räumt vor allem mit der Schutzbehauptung auf, die akuten Probleme des „Modells“ China, an das sich weltweit derzeit die Hoffnungen der Krisenmanager klammern, seien eine Folge der Finanzkrise. Dort wie hier gilt:

„Die Krise heißt Kapitalismus“ – das fängt bei Emmely an (s. S. 5-8) und hört bei Daimler nicht auf. Noch letzte Woche hieß es von Daimler-Vorständen, der Konzern sei gut aufgestellt, die Konzernfinanzen seien solide, die Absatzzahlen stimmten optimistisch. Kurz vor Drucklegung schickten uns die Daimler-KollegInnen von der „alternative“ aus Stuttgart Berichte über einen massiven Angriff des Konzernvorstands auf die Hochburg der deutschen Gewerkschaftsbewegung: eine der kampfstärksten Belegschaften wird sich u.a. mit der Frage befassen müssen, ob sie unbezahlt 5 Stunden weniger arbeitet, auf Betriebsrente, Ergebnisbeteiligung, Weihnachts- und Urlaubsgeld und: auf die tariflichen Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld verzichtet.

Der ohnehin für die nächste Ausgabe geplante Beitrag von Tom Adler (der dafür auf der Frankfurter Demo deutlich mehr Sympathie fand als Lafontaine für seine Rede) wird auch der Frage nachgehen, ob und wie die Beschäftigten sich dagegen zur Wehr setzen. Damit Daimler nicht Schule macht.

express_03-2009_S.1-8

express_03-2009_S.9-16